DRS-Direktor Rüegg über Genfer Frequenzkonferenz
Heute in der NZZ unter Medien und Informatik:
Mehr Vielfalt dank digitalem Radio
Wichtige Resultate einer unbeachteten Genfer Konferenz
Kürzlich haben 104 Staaten an einer Genfer Konferenz die Weichen zum digitalen Radio gestellt. Für DRS-Radiodirektor Walter Rüegg sind die Resultate von grosser Bedeutung. Wie er im Folgenden schreibt, wird sich als Folge die Radiolandschaft erheblich ändern.
Fortsetzung des Artikels: im Kommentar.
Mehr Vielfalt dank digitalem Radio
Wichtige Resultate einer unbeachteten Genfer Konferenz
Kürzlich haben 104 Staaten an einer Genfer Konferenz die Weichen zum digitalen Radio gestellt. Für DRS-Radiodirektor Walter Rüegg sind die Resultate von grosser Bedeutung. Wie er im Folgenden schreibt, wird sich als Folge die Radiolandschaft erheblich ändern.
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gehört zur "Abt. dab-konsortium" - patpatpat - Freitag, 30. Juni 2006, 09:40
Medienpolitische Weichenstellungen
Trotz ihrer enormen Tragweite ist die Genfer Konferenz auch in der sonst so gesprächigen Medienbranche kaum beachtet worden. Die Komplexität der Materie hat wohl abschreckend gewirkt. Dabei sind die medienpolitischen Weichenstellungen, die durch das Ergebnis von Genf nun schrittweise verwirklicht werden können, für Radio, Fernsehen und die damit verbundenen Dienste in den nächsten zwanzig bis dreissig Jahren massgebend.
Gerade für das Radio ist die Art, wie wir mit diesen Chancen und Risiken umgehen, zukunftsentscheidend. Dabei hilft uns die reiche Erfahrung mit medialen «Kulturbrüchen». Als das Fernsehen in den sechziger Jahren zum Massenmedium wurde, hat das Radio einen radikalen Rollenwechsel vollzogen - von der gravitätischen Doppelrolle des Verkünders und Alleinunterhalters zum mobilen und flexiblen Begleitmedium mit Schwerpunkten in der Frühe und zu den Pendlerzeiten.
Die Genfer Konferenz hat nichts weniger erreicht als Einigkeit über die Frequenzverteilung auf den Bändern 174-230 MHz und 470-862 MHz in Europa, Afrika und dem Nahen Osten. Ausserdem hat sie den Fahrplan für den Übergang vom analogen zum digitalen Rundfunk festgelegt. Die Übergangsfrist wird Mitte 2015 enden. Mit der Umstellung auf digitalen Rundfunk wird das Potenzial für die drahtlose Verbreitung von Signalen enorm erweitert. Die dem neuen System innewohnende Flexibilität wird den mobilen Empfang von Video-, Internet- und Multimedia- Daten ermöglichen. Der Endverbraucher kommt dem Ziel näher, Applikationen, Services und Informationen überall und jederzeit zu empfangen. Erst mit dieser Technik sind Innovationen wie zum Beispiel Handheld-Fernsehen (DVB-H) möglich.
Erweiterte Möglichkeiten für die Schweiz
Dank guter Vorbereitung und einer ausgezeichneten Zusammenarbeit mit den umgebenden Nachbarn hat die Schweiz an der Konferenz in Genf ihre Chancen wahren können. Die vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) geführte Verhandlungsdelegation konnte eine Zuteilung von 14 nationalen Bedeckungen (nationalen Verteilungsschienen, auch Layers genannt) erreichen - eine massgebliche Steigerung gegenüber den heutigen Verhältnissen, soweit sie vergleichbar sind. Je sieben werden für das digitale terrestrische Fernsehen und das digitale terrestrische Radio reserviert. Das bedeutet eine wesentliche Erhöhung der potenziell übertragbaren Programme, vor allem wenn man bedenkt, dass die einzelnen Layers regional aufgeteilt werden können und der Bedarf nach national flächendeckenden Programmen wohl eher gering bleiben dürfte.
Damit entfällt ein technisches Hindernis, das im analogen Zeitalter - unbesehen der medienpolitischen Einflussnahmen - die Expansion der audiovisuellen Medien immer wieder behindert hat: der Frequenzmangel. Der Verteilungskampf dürfte allerdings auf einer anderen Ebene weitergehen, denn die expandierenden Telekom-Gesellschaften blicken begehrlich auf die neuen Möglichkeiten, die sie gerne für ihre kommerziell interessanten Multimediaanwendungen, vor allem für mobile Datendienste aller Art, nutzen würden. Die technische Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass die frühere Trennung von Rundfunk und Telekommunikation verwischt worden ist. Franz Zeller, Chefjurist beim Bakom, sagt es ausdrücklich: «Rundfunkveranstalter müssen mehr und mehr mit kommerziell überlegenen Fernmeldeanbietern um Übertragungswege konkurrieren.»
Umso interessanter ist die Frage, was die Schweizer Rundfunkveranstalter mit den neuen Potenzialen anzufangen gedenken. Die Frage ist doppelt spannend, weil das total revidierte Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) schon nächstes Jahr in Kraft treten wird, wenn kein Referendum ergriffen wird. Das neue RTVG bringt nicht nur mit dem Gebührensplitting und der Lockerung der Werbebestimmungen eine grössere finanzielle Spannweite für die privaten Sender, sondern auch ganz allgemein einen erleichterten Zugang zu Konzessionen beziehungsweise einen Wegfall der Konzessionspflicht, wenn weder Gebührengelder noch gesicherte Zugänge zu Verbreitungsinfrastrukturen beansprucht werden.
In seiner Weisung vom 29. März 2006 gewährt der Bundesrat den privaten Anbietern den Vortritt vor der SRG idée suisse. Ihnen sollen von den neun Programmplätzen, die auf dem zweiten, neuen Programmensemble ausgestrahlt werden können, drei Viertel gehören. Die SRG darf nur dann mehr als ein Viertel beanspruchen, wenn sich nicht genügend private Veranstalter um Konzessionen bewerben. Die Ausschreibung erfolgt nach den neusten Informationen des Bakom im Frühherbst 2006. Es ist wahrscheinlich, dass sich nicht nur private und schweizerische Stationen um Konzessionen bewerben werden, sondern auch ausländische Veranstalter.
Ein DRS-Nachrichtenkanal
Schweizer Radio DRS hat seine Pläne bereits im Frühjahr offen gelegt: Es plant per Mitte 2007 einen News-Channel auf DAB, der Nachrichten und Serviceinformationen im Viertelstundenrhythmus ausstrahlt und sich an ein mobiles und jüngeres Publikum wendet. In der Westschweiz plant Radio Suisse romande zusammen mit privaten Anbietern weitere Programme. Im Gleichschritt mit dem Aufbau des Übertragungsnetzes dürfte damit das Angebot an Radioprogrammen wachsen. Die zunehmende Programmvielfalt stimuliert den Kauf von kombinierten UKW/DAB- Empfängern. Sie sind in den letzten Monaten in den Verkaufsgestellen aufgetaucht, und bereits heute gibt es über 400 Modelle - eine breite Palette, die vom Walkman bis zum Küchenradio und zum Tuner reicht.
Die Digitalisierung des Sendernetzes geht in den nächsten Jahren weiter, und das Angebot an Radioprogrammen und Zusatzdiensten wird sich vervielfachen. Doch Radio wird mit DAB nicht nur vielfältiger. Denn DAB kann mehr als Töne übertragen: Zusatzdienste, Bilder und Textinformationen auf dem kleinen Bildschirm, über den jedes DAB-Gerät verfügt, sind möglich. Und die Verknüpfung mit dem Internet ist in Sichtweite.
Die Tragweite der Genfer Wellenkonferenz wird man erst in ein paar Jahren ermessen können. Sie dürfte nun auch in jenen Ländern Europas die Digitalisierung vorantreiben, die sich bis jetzt zögerlich verhalten haben.
* Walter Rüegg ist Ökonom und wurde Wirtschaftsjournalist, bevor er Positionen in Schweizer Verlagen bekleidete, zuletzt als Direktionspräsident der Vogt-Schild/Habegger AG, Solothurn. Seit 1998 ist er Direktor des Schweizer Radios DRS.